Generalistische Pflegeausbildung

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Zwischenbilanz nach einem Jahr – Pro und Contra der generalistischen Pflegeausbildung

Die Reform der Pflegeausbildung wurde als Revolution verkauft. Doch ist sie das wirklich? Lässt sich nach einem Jahr mit der generalistischen Pflegeausbildung bereits sagen, ob die Reform ein Erfolg ist oder muss nachgebessert werden? Wir erlauben uns einen kritischen Blick aus mehreren Perspektiven …

 

Was hat sich in der Pflegeausbildung verändert?

Bevor die generalistische Pflegeausbildung eingeführt wurde, waren Alten-, Kinder- und Krankenpflege separate Ausbildungsberufe mit unterschiedlichen Ausbildungsinhalten. Alle Ausbildungen dauerten drei Jahre und hatten nach jedem Ausbildungsjahr eine Art Zwischenprüfung, die zu den sogenannten – Einjährigen, Zweijährigen und Examinierten Pflegeabschlüssen führten. Der Zugang zu den Berufen war formal nicht an Schulabschlüsse gebunden und viele Hauptschüler konnten diese Ausbildungen anstreben. Selbst wenn die Examen nicht geschafft wurden, gab es die Teilabschlüsse, die in den Helferbereichen sehr nachgefragt waren.

Für die generalistische Pflegeausbildung wurden diese drei Berufsbilder zusammengeführt und die Ausbildungsinhalte weitgehend synchronisiert. Die ersten beiden Ausbildungsjahre laufen identisch ab und erst im dritten Jahr, wird die Vertiefung in der angestrebten Fachrichtung vorgenommen. Der Berufsabschluss heißt jetzt Pflegefachmann/-frau. Zur generalistischen Pflegeausbildung sind nur Personen mit mittleren Bildungsabschlüssen zugelassen. Das bedeutet, Hauptschulabsolventen haben nur unter erschwerten Bedingungen Zugang zu Pflegeberufen. Das bedauern vor allem viele Unternehmen in der Altenpflege.

Der erfolgreiche Abschluss der generalistischen Pflegeausbildung wird auf ein anschließendes Pflegestudium angerechnet und verkürzt die Studienzeit.

 

Mit einem Hauptschulabschluss in der Pflege arbeiten

Hauptschulabsolventen haben die Möglichkeit an Berufsfachschulen ihren Realschulabschluss zu erlangen, um Zugang zur generalisierten Pflegeausbildung zu bekommen. Oft werden hier Praxis und Theorie miteinander verbunden, was den Vorteil bietet, dass sich Schüler schon in Einrichtungen präsentieren können und es ggf. leichter haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Allerdings schwebt immer der Druck über ihnen, die Schule mit einem Realschulabschluss beenden zu müssen. Dieser Druck kann demotivierend wirken und sogar krank machen. Ein Abbruch oder auch nichtbestandene Prüfungen wirken sich in vielerlei Hinsicht auf die Interessierten aus. Waren sie ursprünglich der Meinung, ihr Berufsfeld gefunden zu haben, so müssen sie jetzt erneut in die Berufsorientierung gehen.

Eine bessere Möglichkeit ist eine Ausbildung zur Pflegehilfskraft zu absolvieren. Allerdings sind die Angebote hier sehr undurchsichtig. Einige Kurse dauern nur wenige Monate, andere wiederum drei Jahre. Für Unerfahrene auf dem Arbeitsmarkt ist es sehr schwierig das passende Angebot zu finden. Auf der sicheren Seite ist der Interessent in diesem Fall, wenn er sich mit einer Pflegefachschule direkt in Verbindung setzt und sich zu den genauen Anforderungen an die Ausbildung zum Pflegehelfer informiert. Nur so hat die Bewerbung auch einen guten Ausblick auf Erfolg, die generalistische Pflegeausbildung starten zu können.

An der Zugangsvoraussetzung „mittlerer Schulabschluss“ scheiden sich die Geister, weil motivierten Menschen mit Hauptschulabschluss der Zugang verwehrt bleibt. Vermutlich wird dies den Pflegenotstand zusätzlich negativ beeinflussen. Denn das Interesse an Pflegeberufen muss mit einem höheren Schulabschluss nicht zwangsweise wachsen.

 

Organisation der Ausbildung

Berufsschulen oder klinikeigene Akademien mussten sich in der Organisation der Ausbildung nur wenig umstellen. Reine Altenpflegeschulen, die es bis Ende 2019 gab, mussten die Lehrpläne natürlich anpassen.

In der praktischen Ausbildung sind vor allem Altenpflegeeinrichtungen von den Veränderungen betroffen. Es war auch vorher schon nötig, in allen Pflegebereichen Praktika zu absolvieren, allerdings war die zeitliche Gewichtung hier etwas anders. Waren Altenpflegeauszubildende nur für kurze Praktika bei mobilen Pflegediensten, Reha-Einrichtungen oder in Kliniken im Einsatz, so sind diese Praxisanteile deutlich ausgeweitet worden und die personelle Besetzung wechselt häufiger. Das bedeutet einen hohen Aufwand, weil immer wieder eine Einarbeitung erfolgen muss und auch für Senioren, vor allem mit Demenz, kann es schwierig sein, wenn das Personal häufig wechselt.

Die medizinischen Akademien der Universitätskliniken haben wohl die wenigsten organisatorischen Probleme, gibt es doch in den Kliniken meist auch geriatrische Stationen, wo sich Auszubildende sehr gut einsetzen lassen, die in die Altenpflege möchten.

Auszubildende die 2019 noch mit einer Ausbildung nach der alten Ausbildungsordnung begonnen haben, können diese übrigens fortführen. Pflegeschulen müssen hier ggf. noch mindestens ein Jahr die Ausbildungsmodelle parallel anbieten.

 

Das Pflegeweiterentwicklungsgesetz und seine Auswirkungen

Pflegenotstand bedeutet allerdings auch Karrierechancen. Aus Sicht der Pflegefachkräfte bedeutet der Pflegenotstand, dass sie bei der Wahl ihrer Arbeitsstelle im wahrsten Sinne des Wortes die Qual der Wahl haben. Es werden deutlich mehr Pflegekräfte gesucht, als verfügbar sind. Selbst mit erfolgreicher Ausbildung sind viele Weiterbildungen und Spezialisierungen möglich, so dass die Pflege ein attraktives Berufsfeld geworden ist.

Was dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz allerdings zur Last gelegt werden muss, ist der zeitlich schnell aufeinanderfolgende Wechsel von Bezeichnungen. So wurden aus der Krankenschwester und dem Krankenpfleger erst 2004 die Gesundheits- und Krankenpfleger*innen. Nach nur 15 Jahren sind es jetzt die Pflegefachleute. Das sorgt für eine extrem starke Verwirrung im Arbeitsmarkt. Eine Stellenausschreibung zu verfassen, die alle Abschlüsse berücksichtigt, wird immer schwieriger. Hinzu kommt die Kreativität von Bildungsanbietern, die ihren Seminaren bedeutungsvoll klingende Namen geben, deren Zertifikate aber kaum eine Relevanz haben.

Ein Beispiel: Der Markt an Weiterbildungen im Pflegebereich ist stark im Aufwind. Das macht ihn teilweise etwas undurchsichtig. Ein und dieselbe Position im System kann mitunter mit einer Vielzahl an Begriffen einhergehen. Mit dem Pflegeweiterentwicklungsgesetz wurde 2008 die sogenannte „Zusätzliche Betreuungskraft nach § 87b SGB XI“ geschaffen, die inzwischen auch schon wieder unter einem neuen Paragrafen zu finden ist (§ 43b). Die Weiterbildungen werden unter den Begriffen Ausbildung zur Präsenzkraft, Hauswirtschaftlichen Präsenzkraft, Alltagsbegleiter oder Demenzbegleiter angeboten. Das verwirrt Interessenten bereits. Wer jetzt tatsächlich den gesetzlich geregelten Nachweis erlangen möchte, der nötig ist, damit Pflegeeinrichtungen die Lohnkosten von der Pflegekasse gefördert bekommen, muss zusätzlich darauf achten, dass die Ausbildung nach den Vorgaben des GKV-Spitzenverbands und mit dem entsprechenden Titel abschließt.

Karitative Verbände bieten Angehörigenkurse unter dem Begriff Demenzbegleiter an, die nicht mit den oben genannten Fortbildungen zu vergleichen sind und möglichst auch nicht verwechselt werden sollten.

Fazit: Die generalistische Pflegeausbildung hat von den Inhalten her nur wenig verändert. Da sie erst seit einem Jahr gesetzlich verankert ist, gibt es noch keine Auszubildenden, die diese Ausbildungen bereits erfolgreich abgeschlossen haben. Ob die Ausbildungsqualität gewonnen oder verloren hat, kann sicher erst dann abschließend festgestellt werden, wenn es hierfür Erfahrungswerte gibt. Also frühestens in zwei Jahren, wenn die ersten Absolventen ihre Ausbildungen beenden. Bedauerlich ist diese Neuregelung tatsächlich für viele Hauptschulabsolventen, die nun nur mit Mehraufwand noch für die generalistische Pflegeausbildung zugelassen werden können.

Da bereits jetzt ein Pflegenotstand herrscht und ausländische Pflegekräfte dankbar empfangen und beschäftigt werden, wäre es wahrscheinlich sinnvoller, diese Ausbildungen auf europäischer Ebene einheitlich zu organisieren, als national für Verwirrung zu sorgen.

 
 

Quelle der Bilder:
Foto: backy3723_40pixabay.com_-_pulse-818378_1280.jpg / Free-Photos / pixabay

 
 

Bild von Alex Gmelin




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